Wie die Digitalisierung Nachhaltigkeit in KMU unterstützen kann

Laptop, Tablet und eine Pflanze stehen auf einem Schreibtisch.

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Digitalisierung und Nachhaltigkeit sind nicht gegensätzlich. (Foto: Pixabay/reephotocc)


10. November 2020 | Von Özkan Canel Altintop

Nachhaltige Verpackungen, umweltbewusste Kundinnen und Kunden, Menschenrechte und Arbeitsnormen: Nachhaltigkeit hat viele Dimensionen. „Sie kann gelingen, wenn alle Verantwortung übernehmen“, sagen Daniel Weiß und Bibiana Garcia von der Berliner Denkfabrik adelphi. Zudem können digitale Lösungen Nachhaltigkeit fördern, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt werden. Ein Interview:

Der Begriff Nachhaltigkeit ist vielschichtig. Wie definieren Sie das Themenfeld?

Nachhaltigkeit in der Wirtschaft umfasst aus meiner Sicht mehrere inhaltliche und prozessuale Dimensionen.

Für Unternehmen, auch KMU, ist es wichtig, dass Nachhaltigkeit inhaltlich umfassend verstanden wird. Das beginnt damit, dass man sich mit den verschiedenen Nachhaltigkeitsthemen vertraut macht. Dazu zählen der Umwelt- und Klimaschutz ebenso wie die Achtung von Menschenrechten und die Beachtung von Arbeitsnormen. Sich als Unternehmen ein Klimaziel zu setzen und eine Klimastrategie umzusetzen gehört ebenso zum Kerngeschäft, wie sich für gerechte Arbeitsbedingungen im eigenen Betrieb und bei Lieferanten einzusetzen. Immer mehr Unternehmen befassen sich daher gezielt mit den 17 globalen Nachhaltigkeitszielen (Sustainable Development Goals, SDGs), die das Themenspektrum gut abbilden.

Damit Nachhaltigkeit prozessual im Unternehmen verankert wird, ist es wichtig, dass Unternehmen verstehen, welche negativen und positiven Auswirkungen ihr Handeln auf Nachhaltigkeitsziele hat. Nachhaltige Wirtschaft bedeutet, die eigenen Auswirkungen auf Gesellschaft und Umwelt verstehen, messen und bewerten. Ebenso bedeutet es, dass Nachhaltigkeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette berücksichtigt wird. Das umfasst die vorgelagerten Stufen der Wertschöpfungskette (Rohstoffgewinnung, Weiterverarbeitung), die eigene Wertschöpfung (eigene Standorte) und die nachgelagerten Stufen der Wertschöpfung (Nutzungsphase und Recycling/Entsorgung).

Dass die Ausrichtung des Unternehmens an Nachhaltigkeitszielen zu Konflikten mit bestehenden unternehmerischen Zielen führen kann, liegt auf der Hand. Unternehmen sollten so offen wie möglich damit umgehen und im Dialog Lösungen erarbeiten. Wichtig ist, dass Unternehmen mit den Mitarbeitenden, aber auch nach außen, glaubwürdig kommunizieren.

Warum sollten sich kleine und mittlere Unternehmen Gedanken über Nachhaltigkeit machen?

Ich würde diese Frage gern einleitend aus einer etwas anderen Perspektive beantworten: Zentrale Umwelt- und Nachhaltigkeitsziele können nur mit einem substanziellen Beitrag der Wirtschaft erreicht werden. Bis zum Jahr 2050 will Europa der erste klimaneutrale Kontinent der Welt werden. Ohne KMU, die mehr als 99 Prozent aller Unternehmen und über die Hälfte aller Arbeitsplätze in Deutschland stellen, wird dies nicht gelingen.

Insofern ist es wichtig, KMU darin zu bestärken, ihren Einfluss zu verstehen: Unter anderem besteht dieser darin, dass sie faire Arbeitsbedingungen im eigenen Betrieb und gegebenenfalls auch bei ihren Lieferanten fördern können; letzteres durch konkrete Anforderungen in Lieferantenverträgen. Im eigenen Betrieb kann der Klimaschutz vorangebracht werden. KMU können weniger Energie verbrauchen und damit weniger CO2 bei der Produktion ausstoßen – und dadurch gleichzeitig Kosten senken. Durch die Gestaltung von nachhaltigen Produkten und Dienstleistungen können KMU den nachhaltigen Konsum fördern.

Und wenn sie dies tun, ergeben sich vielfältige Chancen. Um nur einige zu nennen: KMU können durch die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten ihre Innovationsfähigkeit stärken. KMU können ihre Attraktivität als Arbeitgeber steigern. Und sie können sich bei ihren Kundinnen und Kunden als Nachhaltigkeitsvorreiter positionieren und sich darüber Aufträge sichern.

Was haben Kundinnen und Kunden von nachhaltigen Unternehmen davon?

Ein echter gesellschaftlicher Wandel kann nur verwirklicht werden, wenn alle Verantwortung übernehmen. Dazu gehören auch Konsumentinnen und Konsumenten. Nachhaltige Produkte und Dienstleistungen von Unternehmen sind die Voraussetzung dafür, dass Konsumentinnen und Konsumenten Nachhaltigkeitsüberlegungen in ihre Kaufentscheidungen einfließen lassen. Nachhaltiger Konsum ist ein wichtiger Hebel für ökologische und soziale Nachhaltigkeit. Allein der Konsum der privaten Haushalte ist für mehr als ein Viertel aller Treibhausgasemissionen in Deutschland verantwortlich. Viele Produkte benötigen Rohstoffe, die teilweise unter problematischen Bedingungen abgebaut werden. Dort bestehen besonders hohe Risiken für prekäre Arbeitsverhältnisse, fehlende Sicherheitsstandards und teilweise auch Kinderarbeit.

Dass die Bedeutung von Nachhaltigkeit bei Konsumenten/-innen steigt, zeigen diverse Studien. Konsumenten/-innen treiben Nachhaltigkeit in der Wirtschaft voran, indem Bewusstsein und Nachfrage für nachhaltige Produkte wachsen. Allerdings besteht weiterhin großer Handlungsbedarf. Unternehmen, die ihr Nachhaltigkeitsengagement transparent und glaubwürdig kommunizieren, sind im Vorteil. Von KMU genutzte Prüfsiegel, hinter denen anspruchsvolle Kriterien und Mechanismen liegen, können die Grundlage für informierte und nachhaltige Verbrauchentscheidungen sein.

Wie lässt sich „Nachhaltigkeit“ messen?

Nachhaltigkeit zu messen bedeutet, die Auswirkungen des Unternehmens auf die Umwelt und die Gesellschaft zu verstehen und zu bewerten. Um im Sinne der Nachhaltigkeit negative Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesellschaft zu vermeiden oder zumindest zu minimieren und positive Auswirkungen zu maximieren, sind Informationen notwendig, die über finanzielle Daten hinausgehen. Wichtig ist, dass Unternehmen Kontext und Zielsetzung hinter solchen nicht-finanziellen Kennzahlen sehr gut erklären. Welche Bedeutung haben die erhobenen Daten für den langfristigen Erfolg des Unternehmens?

Relevante bestehende Mess- und Berichtsformate sind beispielsweise Nachhaltigkeits- oder Jahresberichte. Umwelt- und soziale Themen werden in Berichterstattungsstandards wie den Leitlinien der Global Reporting Initiative (GRI) oder dem Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK) abgebildet. Im Gegensatz zu herkömmlichen Nachhaltigkeitsberichten, die von Unternehmen selbst erstellt werden, kann sich für manche KMU die Gemeinwohl-Bilanz als Format anbieten, bei dem sich Unternehmen auch gegenseitig bilanzieren oder externe Prüfer/-innen heranziehen können.

In den letzten Jahren ist eine Reihe von Initiativen entstanden, die sich mit der Frage befassen, wie der Wert eines Unternehmens für die Gesellschaft und die Umwelt erfasst werden kann. Dabei geht es über die reine Berichterstattung hinaus. Nachhaltigkeit soll Steuerungsrelevant werden. Der Wertbeitrag eines Unternehmens soll monetär sichtbar gemacht werden. Bei der Bilanzierung sollen Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesellschaft berücksichtigt werden. Beispielsweise wird erfasst, wie hoch der Anteil des Kapitals ist, das Unternehmen in Umwelttechnik investieren.

Kann Digitalisierung eine Lösung bieten, nachhaltiger zu wirtschaften oder ist sie zum Beispiel aufgrund des Stromverbrauchs Teil des Problems?

Die Digitalisierung muss umweltgerecht sein. Hier besteht ein großer Bedarf, damit die Digitalisierung nicht Teil des Problems ist. Das heißt, der ökologische Fußabdruck, der beispielsweise durch den Stromverbrauch der digitalen Infrastruktur, zum Beispiel in Rechenzentren entsteht, muss so gering wie möglich sein. Hier muss noch einiges getan werden. Unter anderem ist die Politik gefordert, Energieeffizienzstandards umfassender zur Anwendung zu bringen. Gleiches gilt für die Langlebigkeit von Hardware. Hier braucht es verbindlichere Herstellervorgaben. Auch das Recycling von Rohstoffen für digitale Geräte muss vorangebracht werden.

Gleichzeitig weisen digitale Lösungen schon heute das Potenzial auf, Nachhaltigkeit zu fördern. Beispielsweise können mithilfe digitaler Technologien Sharing-Angebote in der Stadt eine Alternative zum eigenen Auto darstellen. Mithilfe der digitalen Vernetzung von Produkten und Prozessen können Routen und Beladung von Transportfahrzeugen sowie Lagerung optimiert werden, was zu Einsparungen von Treibhausgasemissionen führen kann.

Eine Grundvoraussetzung für die Anwendung digitaler Technologien durch Unternehmen und Konsumenten/-innen ist die Verfügbarkeit von Daten. Digitale Technologien erreichen ihr volles Potenzial in der Regel nur dann, wenn vollständige und strukturierte Daten vorliegen. Die Erhebung, Speicherung und Verwaltung korrekter und möglichst umfassender Daten ist somit essenziell, um digitale Technologien sinnvoll einsetzen zu können.

Wagen Sie eine Prognose zum “Green Deal”. Die EU möchte 2050 klimaneutral sein. Wie realistisch ist es, dass bis 2050 tatsächlich keine Netto-Treibhausgasemissionen mehr freigesetzt werden?

Der Green Deal wird ja auch als „Man on the Moon“-Projekt bezeichnet. Insofern braucht es eine Portion Optimismus und Wagemut und auch Beharrlichkeit, damit er gelingt und die Ziele erreicht werden. Ich denke, es kann gelingen, wenn Wirtschaft, Politik und Gesellschaft noch enger zusammenarbeiten. Die Akteure in Deutschland, Europa und in der Wirtschaft den Green Deal als Projekt verstehen, welches neue Geschäftsmöglichkeiten und –felder eröffnet. Wir sehen mittlerweile in vielen Wirtschaftszweigen, dass Veränderungsprozesse stattfinden und die Notwendigkeit von „Wenden“ diskutiert wird. Ausgehend von der Energiewende trifft das zum Beispiel auf den Mobilitätssektor zu, aber auch im Agrar- und Ernährungsbereich zeigt sich, dass ein Umsteuern notwendig ist und Diskussionen laufen.

Wir danken Daniel Weiß (Head of Programme Green Economy) und Bibiana Garcia (Managerin) für das Interview.

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