Digitale Entwicklungen der Gesundheitsbranche

neben einer Tastatur liegt ein Stethoskop.

Bildquelle: StockSnap, Pixabay

Auch für die Gesundheitsbranche bietet die Digitalisierung vielseitige Chancen.


20. Oktober 2020 | Von Antonia Wagner, Carolin Enke

Die elektronische Krankenakte, digitale Sprechstunden oder der Online-Terminplaner: die Digitalisierung der Gesundheitswirtschaft macht vieles einfacher, schneller und effizienter. Doch natürlich gibt es auch Bedenken. Über dies und mehr haben wir im in unserem Online-Expertenforum „Digitalisierung in der Gesundheitswirtschaft“ diskutiert.

„Digitale Tools beschleunigen bürokratische Prozesse bei der Arbeit und reduzieren den Verwaltungsaufwand für Mitarbeiter/-innen im alltäglichen Tun“, sagt Silvia Rydlewicz vom Kompetenzzentrum Rostock. Sie sprach gemeinsam mit Prof. Kurt J. G. Schmailzl und Julia Göhler über Trends und Herausforderungen der Gesundheitswirtschaft.

Frau Rydlewicz, wie können die Chancen der Digitalisierung im Gesundheitswesen genutzt werden?

Die Nutzung digitaler Angebote ist in den letzten Jahren stetig gestiegen und auch eine andauernde Nachfrage nach konkreten Software-Lösungen für den Arbeitsalltag in Arztpraxen ist spürbar. Aber nicht nur seitens der Unternehmen, sondern auch seitens der Patienten/-innen wächst ein Wohlwollen gegenüber digitalen Angeboten. Digitale Tools beschleunigen bürokratische Prozesse bei der Arbeit und reduzieren den Verwaltungsaufwand für Mitarbeiter/-innen im alltäglichen Tun. Dadurch wird mehr Zeit für die Arbeit am Patienten/-in freigeräumt, was wiederum Einfluss auf die Zufriedenheit der Patienten/-innen nimmt. Trotz vieler Möglichkeiten, welche die Digitalisierung bietet, sollte diese stets als ergänzende Versorgungsform angesehen werden. Digitale Tools ersetzen niemals den Arzt/ die Ärztin und die Empathie, Zuwendung und das ganzheitliche Erfassen der Patienten/-innen.    

Welche technologischen Anwendungen werden bereits heute eingesetzt?

Beispiele sind die digitale Patientenakte, der elektronische Arztbrief sowie der Online-Terminplaner für Patienten/-innen und die Online-Sprechstunde. Mit Hilfe der digitalen Patientenakte entfällt das Anlegen, Heraussuchen, Archivieren einer Patientenakte. Diese ermöglicht, dass alle medizinischen Befunde an jedem Computer abrufbar sind, sogar auch von unterwegs beim Patienten/-in vor Ort. Darüber hinaus unterstützt eine Online-Terminplanung für Patienten/-innen die Mitarbeiter/-innen bei der Buchung und Koordinierung von Terminen. Digitale Ansätze, wie Online-Sprechstunden finden heute schon statt, dennoch gibt es aufkommende Bedenken seitens der Ärzte/ Ärztinnen. Diese Art Sprechstunde schränke die Versorgung der Patienten ein, da nicht die gleiche Versorgung gegeben werden könne, wie bei einem persönlichen Besuch.

Wie fortgeschritten ist Ihrer Meinung nach die Digitalisierung in der Gesundheitsbranche?  

In den letzten Monaten hat die Digitalisierung in der Gesundheitswirtschaft einen großen Schritt nach vorne gemacht, weil es notwendig war, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen. Daher glaube ich nicht, dass es am Stand der Technik liegt. Dieser ist fortgeschritten. Dennoch herrscht sowohl seitens der Ärzte/-innen, als auch der Patienten/-innen eine große Skepsis gegenüber digitalen Tools und fehlende Akzeptanz, diese als eine ergänzende Versorgungsform anzusehen.

Auch Prof. Dr. Schmailzel stand uns als Experte für ein Interview zur Verfügung. Er ist aktiver Begleiter und Entwickler von Projekten mit dem Schwerpunkt auf Zukunftsstrategien für die medizinische Versorgung, wie dem Projekt Digilog.

Herr Prof. Dr. Schmailzel, was verbirgt sich hinter dem Projekt „Digilog“ und wieso ist es so wichtig für die Gesundheitsbranche?    

„Digilog” ist das Akronym für “Digitale und analoge Begleiter für eine alternde Bevölkerung”. Es handelt sich um ein vom Brandenburgischen Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur (MWFK) Potsdam geförderten Verbundvorhabens aus 37 Partnern/-innen. Ausgangssituation für den Forschungsverbund ist die Erkenntnis über versorgungsprekäre Regionen, in denen die Bevölkerung überaltert ist, die Bevölkerungsdichte durch den Wegzug von jungen Menschen stetig abnimmt und die ärztliche Grundversorgung aufgrund von alternden Landärzten/-innen und ausbleibenden Nachbesetzungen nicht mehr gewährleistet werden kann. Ziel ist die Sicherung und Weiterentwicklung der medizinischen Versorgung in Brandenburg. Realisiert wird ein eHealth Center als Schnittstelle für alle gesundheitsbezogenen Daten. Dieses Center ermöglicht die Bündelung und Analyse von Befunden sowie eine in Echtzeit durchgeführte Vorauswertung, während sich der Arzt/ die Ärztin im Dialog mit dem Patienten/-in befindet.

Was muss passieren, damit im Gesundheitswesen eine Akzeptanz für digitale Anwendungen geschaffen wird?

Die Digitalisierung der Medizin, aber auch vieler anderer Bereiche ist wichtig. Digitale Tools werden dann akzeptiert, wenn diese ganz offensichtlich nützlich sind. Das mag banal klingen, ist es auch. Leider wird aber in der Euphorie dieser Aspekt oft nicht beherzigt. Wenn der Patient/-in merkt, dass es ihm/ ihr etwas nützt, dann entsteht Akzeptanz. Das Angebot an digitalen Möglichkeiten umfasst heutzutage vor allem Verwaltungs- und Abrechnungsprozesse, die auch ihre Wichtigkeit haben. Dennoch wird der eigentliche Prozess der Urteilsbildung über den Patienten/-in für mich als Arzt/ Ärztin nicht ohne Weiteres erleichtert. Ich denke dennoch, dass digitale Anwendungen nicht überbewertet werden. Denn Digitalisierung kann in erster Linie den Dokumentations- und Verwaltungsprozess erleichtern.

Gib es im Bereich der Aus- und Weiterbildung Nachholbedarf, was den Einsatz digitaler Technologien angeht?

Die Qualifizierungskultur ist biologisch auf einem guten Weg, da viele jüngere Kollegen/-innen nachkommen, deren digitale Kompetenzen ausgeprägter sind als früher. Weiterhin sehe ich enorme Potenziale durch die Digitalisierung in der Ausbildung, um schneller und in einem breiteren Maß zukünftige Mitarbeiter/-innen bestmöglich zu qualifizieren. Einen großen Mehrwert und als Ergänzung zur Qualifizierung sehe ich die Durchführung von Austauschformaten, wodurch Erfahrungen geteilt werden können und allen ein „voneinander Lernen“ ermöglicht wird.

Expertin Julia Göhler, Leiterin des Fachbereichs Medizinpädagogik und Pflege an der MSB Medical School Berlin und Professorin für Medizinpädagogik, ist der Meinung, dass gerade die Qualifizierung eine tragende Rolle spielt bei der Digitalisierung der Gesundheitswirtschaft.

Frau Göhler, wie kann der Nutzen digitaler Technologien deutlicher gemacht werden?  

Ich bin der Ansicht, dass der Nutzen hinter allen digitalen Anwendungen stärker hinterfragt werden sollte. Eine mögliche Herangehensweise ist die stärkere Betrachtung von Schwierigkeiten und das Ausprobieren digitaler Formate. In der Ausbildung von Pflegekräften stehen wir immer wieder vor der Herausforderung, ein Verständnis dafür zu entwickeln, wie der menschliche Körper funktioniert. Ein digitales Format kann dabei unterstützen, in den Körper hineinzuschauen und Abläufe im menschlichen Körper erlebbar zu machen. Weiterhin unterstützen uns Simulationszentren und fehlerwollende Räume dabei, Vertrauen und Sicherheit im Umgang mit dem Patienten/-innen zu entwickeln und sich sukzessive an unbekannte Prozesse anzunähern.

Wie gut ist das heutige Gesundheitssystem auf die Qualifizierung des Einzelnen vorbereitet?

Wir haben in Deutschland die Herausforderung, dass mehr als die Hälfte der Bevölkerung erhebliche Probleme hat, sich gesund zu halten. Auf der anderen Seite gilt unser Gesundheitssystem als eines der besten der Welt. Hier glaubt man einen Widerspruch zu erkennen. Doch ich finde, dass es kein Widerspruch ist, denn unser Gesundheitssystem ist sehr komplex und für viele Menschen schwer zu erfassen. Unser Gesundheitssystem muss den Menschen stärker dazu befähigen, relevante Gesundheitsinformationen zu recherchieren, zu verstehen und in den Alltag einzubinden, um den Aufbau der eigenen Gesundheitskompetenz zu unterstützen.

 „Gesundheitskompetenz ist der Grad, zu dem Individuen durch das Bildungs-, Sozial- und/ oder Gesundheitssystem in die Lage versetzt werden, die für angemessene gesundheitsbezogene Entscheidungen relevanten Gesundheitsinformationen zu finden, zu verarbeiten und zu verstehen“ (Deutsches Hilfswerk für Gesundheitskompetenz; deutsche Netzwerk für Versorgungsforschung).

Welche Voraussetzungen müssen für den Aufbau von Gesundheitskompetenz gegeben sein?

Am Anfang steht die eigene Haltung zum Thema Gesundheit und wie jeder Einzelne diese Einstellung in seinen Alltag integriert und lebt. Denn jeder Mensch trägt die eigene Verantwortung für seine Gesundheit. Damit der Mensch Verantwortung für sich selbst übernehmen kann, wird geschultes Gesundheitspersonal benötigt, das in der Lage ist, den Menschen zu begleiten und Wege aufzuzeigen, wie die eigene Gesundheitskompetenz aufgebaut werden kann.  

Vielen Dank Silvia Rydlewicz, Prof. Kurt J. G. Schmailzl und Julia Göhler für Ihre Einschätzungen.

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