Aufbau und Selbstorganisation einer Unternehmensgruppe

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Chancen und Herausforderungen beim Aufbau eines Netzwerkes.


13. April 2021 | Von Nele Karsten, Svenja Dittmann

Kooperationen und Partnerschaften gelten als einer der Erfolgsfaktoren in der digitalen Transformation, da sie erfolgsversprechende Synergien zwischen Unternehmen schaffen. In einem dreiteiligen Interview mit Igor Haschke, Gründer der Unternehmensgruppe Berlin.Industrial.Group. (B.I.G.), haben wir hinterfragt, wie sich der Aufbau von Netzwerken in der Praxis gestaltet, welche Motive dabei eine Rolle spielen und welche konkreten Herausforderungen die B.I.G. dabei überwinden musste. Igor Haschke berichtet dabei von den Bedarfen und Ideenimpulsen für den Aufbau des Unternehmensnetzwerkes. 

Herr Haschke, was waren damals Gründe, die Sie zum Aufbau der Berlin.Industrial.Group bewegt haben?

Wir waren zu Anfang nur ein einzelnes produzierendes Unternehmen (Scansonic) und durch unsere Produktsparte sehr stark von der Automobilbranche und einem Kunden abhängig. Sobald die Branche dann eine Krise hatte, hatten auch wir sie. Deshalb haben wir versucht neue Produkte auch für andere Branchen zu entwickeln. Da fehlte dann aber meist das Herzblut, da diese Entwicklungen nur am Umsatz orientiert waren. Man konzentriert sich nicht unbedingt auf seine Kernkompetenzen oder –Produkte, sondern darauf, was am meisten Umsatz bringt. 

Man hätte das Unternehmen dann vielleicht auch anders strukturieren können, aber damals fand ich die Idee zielführend ein Netzwerk mit vielen kleineren Unternehmen zu gründen, die sich jeweils auf ihre Kernkompetenz konzentrieren und gemeinsam unabhängiger sein konnten. 

Und so haben wir es auch bis heute aufgebaut. Wir konnten unsere Abhängigkeit zu einer Branche auf immerhin 60% senken.  

Igor Haschke, Gründer der Unternehmensgruppe Berlin.Industrial.Group. (B.I.G.)
Igor Haschke, Gründer der Unternehmensgruppe Berlin.Industrial.Group. (B.I.G.)

Gibt es noch weitere Motive für die Gründung?

Also eine Herausforderung war die Produktentwicklung und die Andere der Vertrieb. Man kann nicht mal so eben ein breiteres Produktsegment aufbauen und vertreiben. Deswegen haben wir gedacht, wir teilen das auf mehrere Unternehmen auf. Wir hatten dann auch später gesagt, dass wir nur Unternehmen aufnehmen oder kaufen, die Marktführer in ihrer Produktnische werden können. Dann ist man zwar auch wieder abhängig von der Nische, aber dafür darin sehr gut. Und zusammen können wir auch wieder ein breiteres Spektrum anbieten.

Wir haben mittlerweile ein eigenes Unternehmen in der Gruppe, die B.I.G. Corporate Services, welche Services wie Marketing, Buchhaltung, IT und Compliance für die Mitgliedsunternehmen anbietet, aber auch sowas wie Digitalisierungsteams beinhaltet. Diese Bereiche nennen wir innerhalb der B.I.G. Strukturunternehmen. Die Mitgliedsunternehmen, wie z.B. Scansonic oder Gefertec, nennen wir wiederum Marktunternehmen. Zwischen den Struktur- und Marktunternehmen gibt es eine Geschäftsbeziehung, die auch vertraglich geregelt ist. 

Es gibt also viele Bereiche, die man sich teilen kann. Und wenn man das nicht hätte, müsste man sich mit all diesen Themen, die die Strukturunternehmen übernommen haben, wieder selbst auseinandersetzen, was unglaublich aufwändig und allein schwerer zu bewerkstelligen ist. In der Gruppe nutzen wir also die Synergien. 

Mit der Flying Parts GmbH haben wir beispielsweise ein neues Unternehmen quasi an einem Tag konzipiert und gegründet, weil das meiste eben schon vorhanden war. Der Sinn dabei ist auch gar nicht die Effizienz, sondern viel mehr die Effektivität zu steigern, indem die Mitarbeiter in den Unternehmen sich voll und ganz auf ihre Markttätigkeit konzentrieren können. 

So unterschiedlich die Unternehmen dann auch manchmal sind, gibt es trotzdem immer wieder Bereiche, wo sie voneinander lernen können. Beispielsweise beim Thema KI oder Optik geht man gerne in den Erfahrungsaustausch. Man teilt sozusagen sein Wissen und das ist auch ein großer Vorteil der Unternehmensgruppe.

Ansonsten wird Kollaboration auch immer wichtiger, weil wir unsere Gruppe nach und nach auf Selbstorganisation umstellen. Es gibt kaum noch Hierarchien und dann bildet die Basis Kollaboration und nicht mehr das Management oder ich nenne es auch gerne den Kümmerer. Das Management fällt bei der Selbstorganisation nämlich komplett weg. Ich bin auch kein Fan vom Management, denn ich glaube, dass das nicht mehr zeitgemäß ist und zu keinen guten Ergebnissen führt. Es sei denn man hat diesen Ausnahmemanager, der wirklich ein Talent dafür hat und es dann ganz gut hinkriegt. Aber das ist nicht skalierbar und man findet auch nicht immer diese entsprechenden Talente. Die sind dann schnell wieder weg, wenn sie andere spannende Angebote bekommen. Das ist aus meiner Sicht nicht nachhaltig und Teams und Kollaborationen hingegen schon. Wenn sich erstmal feste Teams organisiert haben, dann entstehen sehr nachhaltige Strukturen und man kann komplexe Themen im Team lösen. Wenn man also den Management-Ansatz verlässt und ersetzen möchte, dann sind Kollaborationen existentiell für die selbstorganisierte Arbeit der Teams.

Ist Selbstorganisation aus ihrer Sicht auch das beste Modell für Unternehmensgruppen? 

Nein, das würde ich so nicht sagen. Für uns als Produzenten ist es glaube ich das richtige Modell im Technologiebereich. Denn wir müssen agil arbeiten und das heißt automatisch selbstorganisiert. Nach Gründung der Gruppe lagen alle Entscheidungen bei mir. Ich wollte aber, dass die Mitarbeiter/-innen selbstbestimmt arbeiten können und die Arbeit so als erfüllend empfinden. Deshalb haben wir irgendwann auf Selbstorganisation umgestellt.

Was beinhaltet die Organisationsform der Selbstorganisation?

„Es lassen sich (…) drei Stufen des selbstorganisierten Arbeitens unterscheiden. Auf der niedrigsten Stufe entscheiden die Teammitglieder eigenständig, wie sie ihre Arbeit am besten erledigen. Auf der zweiten Stufe entscheiden sie zusätzlich auch über die Güte der Arbeitsinhalte, setzen also eigene Standards und kontrollieren sich selbst. Auf der dritten Stufe agiert das Team eigenständig unternehmerisch und entscheidet über die eigenen Arbeitsinhalte, Ziele und Art der Bearbeitung. Auf dieser Stufe sind die Führungsrollen flexibel auf verschiedene Personen aufgeteilt. Je nach Unternehmens- oder Teamkontext ist eine andere Stufe der Selbstorganisation passend.“

Quelle: https://www.haufe.de/

Wir danken Herrn Haschke für das Interview!

Erfahren Sie im zweiten Teil des Interviews, wie die Wahl der Kooperationspartner in der Praxis erfolgt ist, welche Rolle Vertrauen in der Zusammenarbeit und Netzwerkbildung bei der B.I.G. spielt und wie mit Wettbewerb innerhalb des Netzwerks umgegangen wird:

Dieses Interview ist Teil unseres Vertrauensbaukastens. Hier finden Sie unter anderem praktische Orientierungshilfen zum Aufbau von Kooperationen. Schauen Sie vorbei!

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